Mal ehrlich: Stromsparen ist doch ungefähr so sexy wie Zahnsteinentfernen oder die Steuererklärung.

Kommentar von Eva Stegen

Und viele (nein, nicht alle!) leiden doch erst so massiv unter ihrer Stromrechnung, seit das Thema von medialen Strompreisbremsklötzen befeuert wurde. Strompreishypochonder leiden unter allen Symptomen, die in den Medien gelistet und vorgekaut werden. Sie wissen nur nicht wie hoch ihre Stromrechnung ist, geschweige denn ihr Verbrauch. Da schrieb unlängst Herr P. aus F. an seinen Versorger, dass er gar nicht mehr wisse, wie er seine Rechnungen noch bezahlen solle, vergaß aber die letzte Zeile zu löschen: „gesendet von meinem Smartphone“. Nein, er fügte nicht die Zeile an „Mit Coltan von zarten Kinderhänden aus der Erdkrume geborgen, von Kindern, die weder einen Stromanschluss noch Schulbücher haben“. „Energiearmut“ kann also eine Frage der Prioritäten sein. Stromsparen ist out!

Nun, Stromsparen ist ja auch eine tolle Sache fürs Klima und zur Schonung der Ressourcen. Aber auch hier darf Teilentwarnung gegeben werden, für alle, denen es egal ist, dass sie (im Bundesdurchschnitt) 70,- € jährlich zum Fenster hinauswerfen, weil sie keine Lust haben, die Standby-Schalter ihres e-Geräteparks abzuschalten. Hierzulande macht der Stromverbrauch in den Haushalten nämlich gerade mal ein gutes Viertel des gesamten Verbrauchs aus. Das ist seit Jahren so, trotz „Energiespar-Appellen“, wellenförmigem medialem Energiearmutshype und vermeintlichen Anstiegen der Stromsperren. Ja, wenn‘s die Haushalte nicht sind, wer denn dann? Mit immerhin 46 % schlägt der Verbrauch von Bergbau und verarbeitendem Gewerbe zu Buche. Aha, die Industrie! Als hätten wir’s nicht gewusst! Und während wir schon ausholen um auf „die Industrie“ drauf zu hauen, bekommen wir den Ball sofort wieder zurück gespielt: Hatten wir nicht vor Weihnachten noch alles gegeben, um für die Lieben, die ja nun wirklich schon ALLES haben, doch noch ein Geschenk zu finden? Im Gegenzug haben wir selbst Dinge bekommen, die schon auf den ersten Blick sichere Kandidaten fürs nächste Gräuelwichteln waren.

Apropos Konsumverstopfung: gibt es unter all den berühmten letzten Sätzen eigentlich den Sterbebett-Ausspruch: „Ach hätte ich mir mal bloß mehr Zeug gekauft!“? Nein! Mehr Zeit mit den Kindern verbringen, mehr Zeit für sich, mehr Zeit für unsere Lieben, ja, das werden wir uns alle retrospektiv wünschen, wenn‘s denn mal soweit ist. Uns macht übrigens auch nicht das „Besitzen“ von Zeug glücklicher, sondern allein der Vorgang des „Erwerbens“ ist das, was für einen – vorrübergehenden – Endorphin-Kick sorgt. Wesentlich glücklicher machen uns die Momente, die wir mit Freunden verbringen. Wir zehren viel länger von einem gemeinsamen Ausflug, einer schönen Begegnung, guten Gesprächen, oder – je nach Vorliebe – einer Radtour, Party, Picknick, Hausmusik … was immer wir gerne zusammen tun. Und wenn ein netter Mensch zugegen ist, werden sogar auch blöde Pflichtübungen zu einem Erlebnis. Zum Beispiel Fahrradflicken mit klammen Fingern. Das erträgt Maike eigentlich nur, wenn sie vorher die Schraubenschlüssel auf die Heizung legt. Doch was war das für eine Freude, als die Teenies an diesem fiesen Novembertag bei Maike aufschlugen, um fix das Fahrrad aufzupumpen, weil sie eigentlich zusammen den Berg runter brettern wollen. Die Jungs waren geradezu begeisterungsfähig und lernwillig, als Maike ihnen zeigte, wie man einen Reifen repariert. Und der gemeinsame Aufwärm-Tee in Maikes Küche – während die Gummilösung am Flicken trocknete – wurde eine richtig nette Plauderrunde, mit generationsübergreifenden Einblicken in die jeweils sehr unterschiedlichen Gedankenwelten.

Noch ein Beispiel: Kirsten hatte sich entschlossen, die 120,-€ Jacke zu retten und den Reißverschluss für 10,- € selbst einzunähen. Friemelsarbeit. Gut, man kann es auch meditativ finden … gerade weil Kirsten den ganzen Tag finstere Dinge lesen muss, da kann man beim Nahtauftrennen auch mal ein bisschen abschalten. Soweit die Theorie. Und dann stand auf einmal die Nachbarin im Türrahmen und wedelte mit der Zeitung: „Bleib sitzen und näh weiter. Ich setze mich dazu und lese Dir was vor.“ Wo im Weltall hatte sich Kirsten denn dieses schöne Geschenk bestellt? Die Nachbarin las eine köstliche Episode vor, über einen Neapolitanischen Pfarrer, der in seiner Kirche einen Störsender installiert hatte, weil ihn die durchgeknallten, mit ihrem Telefonino verwachsenen Palaverer während der Messe nervten. *

Oder Martin, der hat auch einen echten Volltreffer gelandet. Seine Angebetete lag mit einem Infekt darnieder, also stand er – Überraschung – mit Tee und Buch bewaffnet auf der Matte um ihr über die Unbilden  hinweg zu helfen. Seht her Jungs, so könnt Ihr punkten! Nicht mit irgendwelchen güldenen Ringen  oder teuren Parfüms, womit Ihr womöglich unseren Geschmack haarscharf nicht trefft. Für Parfüms werden übrigens jährlich etwa 1 Milliarde € ausgegeben, ein Viertel des Parfüms wird nie benutzt. Das macht 250 Mio € jährlich für nix. Komm mir jetzt bloß nicht mit Parfümpreisbremse! Ein echter Ritter erobert die Küche, zaubert einen dampfenden Tee und entführt seine Holde vorlesend in das Reich der Fantasie.

Hatten Martin und die pfiffige Nachbarin bei www.zeit-statt-zeug.de gelesen, dass jährlich  72 Mio Bücher ungelesen weggegeben werden? Zeit statt Zeug, die inspirative Seite, die so schöne Sachen empfiehlt wie „Zoobesuch statt Stofftier“ oder „Zusammen kicken statt Playstation“? Hat sie das auf die Idee gebracht, dass es manchmal schöner sein kann, Gedanken über bewegende Texte mit Freunden zu teilen, als hübsch eingepackte Bücher weiter zu geben? An dieser Stelle einen herzlichen Gruß an alle, die gerade vorgelesen bekommen. Ihr dürft den Vorleser jetzt küssen!

Quelle   Eva Stegen 2015, sonnenseite.com